Wenn mir früher jemand erzählt hat, dass er seine Sommerferien für ausgiebiges Wandern in den Bergen nutzt, dann habe ich das für Zeitverschwendung gehalten. Ich selbst habe meine Zeit viel lieber auf einem Handtuch am Strand verbracht. Nie konnte ich verstehen, wie jemand mit Wanderschuhen und Rucksack etliche Kilometer abreist, um… tja, um was eigentlich? Sich gut zu fühlen? Kalorien zu verbrennen? Besondere Ort zu entdecken? Ich habe es nicht verstanden. Bis zum Vatertag 2020. Da war ich 48 Jahre und habe – zusammen mit Frau und Tochter – das Wandern für mich entdeckt.
Mein Leben lang habe ich auf Sport und Fitness wert gelegt, daher habe ich mit Sportuhr und Musik auf dem Ohr ziemlich viele Kilometer abgerissen. Ich weiß, dass man mindestens 5.000 Schritte pro Tag machen sollte und tracke auch das seit Jahren. Nie wäre ich aber auf die Idee gekommen, an einem sonnigen Wochenende 20.000 Schritte auf einer mit gelb-schwarzen Pfeilen markierten Wanderroute abzulaufen, dabei den Kopf freizubekommen, sich an der Natur zu erfreuen und mit der Familie extrem viel Spaß zu haben.
Unser Aha-Moment mit dem Wandern
Nun war es so, dass Himmelfahrt 2020 vor der Tür stand. Es sollte ein sonniger Tag werden und wir hatten keine Lust auf Menschenmassen an Alster und Elbe. Daher haben wir entschieden, uns südlich von Hamburg die Fischbeker Heide anzugucken und dort Wandern zu gehen. Diese Ecke ist nicht ganz so opulent wie die Lüneburger Heide, hat aber auch eine deutlich kürzere Anfahrt. Mit ein paar Apfelstücken und einer kleinen Flasche Wasser im Rucksack ging es auf Tour. Und nachdem wir auf dem ersten Kilometer noch mit vielen anderen Wandersleuten unterwegs waren, dünnte sich das schnell aus und wir waren bald allein. Und ziemlich geflasht von der beeindruckenden Natur. Weite Heidewiesen, Schluchten, Seen und Wälder wechselten sich ab. Wir hatten uns vorher eine Wanderrunde von 11 Kilometern ausgesucht. Das sind 1,5 Alsterrunden und eigentlich locker zu laufen. Naja, nicht ganz…
Denn über Stock und Stein ist das Wandern durchaus ein anderer Schnack. Und verlaufen haben wir uns auch zwei Mal. Am Ende waren wir nach etwa fünf Stunden. 20.931 Schritten und 13,5 Kilometern wieder zurück am Parkplatz. Ziemlich hungrig, aber auch sehr glücklich und beseelt. Schon auf der Rückfahrt haben wir beschlossen, nun viel häufiger zu Wandern und uns die schönen Ecken, die wir mit einer Autostunde von Hamburg erreichen können, mal genauer anzugucken.
Wir entwickeln unsere Skills
Das haben wir seitdem auch schon einige Male wiederholt. Mit deutlich verbessertem Proviant. Wir haben kalten Kaffee, Tee, Kekse, Sandwich und Obst am Start. Das alles ist so schwer im Rucksack, dass ich mich als Träger freue, wenn wir nach der Hälfte die Pause hinter uns gebracht und Ballast abgeworfen haben. Wir nutzen mittlerweile die App Komoot, auf der wir nach gut bewerteten Wandertouren suchen und die wir dann nachlaufen. Erstaunlich ist, dass auch unsere achtjährige Tochter infiziert ist. Ich weiß nicht, ob mir das in dem Alter auch passiert wäre. Wahrscheinlich sind es die Abenteuer, die Begegnungen mit interessanten Tieren und die leckeren Kekse, die sie motivieren. Und so ist das Wandern inzwischen eine regelmäßige Wochenend-Beschäftigung und ein großer Spaß. Derzeit noch mit Turnschuhen und einem Schulrucksack. Aber Weihnachten steht ja vor der Tür…
Und nun wird’s verrückt: tatsächlich habe ich kürzlich zuhause vorgeschlagen, dass wir mal checken müssen, einen Wanderurlaub in den Bergen zu verbringen. Statt mir danach aber gleich den Mund mit Seife auszuwaschen, habe ich im Internet nach Wanderstiefeln gesucht. Verrückt…
Wanderurlaub muss warten
Corona hat uns dann leider einen Strich durch die Rechnung gemacht, denn größere Reisen innerhalb Deutschlands sind für uns seit Beginn der Pandemie tabu, von Touren ins Ausland wie zum Beispiel Österreich mal ganz abgesehen. Trotzdem waren wir weiter oft unterwegs und haben das Hamburger Umland viel besser kennengelernt. Für die Tochter haben wir unsere Ausflüge durch Geocaching noch ein klein bißchen spannender gestaltet. Und somit sind wir auch weiterhin an den Wochenenden unterwegs – und warten auf den Wanderurlaub in den Schulferien.
Titelbild © Clem Onojeghuo von Pexels // Rest © Kai Bösel