Nach Teil 1 ist hier die Fortsetzung:
Manchmal ist es schlau, nicht jedes Handeln und Tun im Vorfeld komplett durchzuplanen. Vielleicht nicht typisch deutsch, aber es kann auch sehr befreiend wirken. Die Vorbereitungen in das vierwöchige Abenteuer war an sich schon aufregend.
Dennoch habe ich in der ganzen Zeit der Planung keinen bis kaum einen Gedanken daran verschwendet, wie es sein wird, wenn der Motor das erste Mal aufheulen wird.
Vor gut 20 Jahren bin ich bereits einen alten Fiat 500 gefahren. In Berlin, für PUMA. Es war das Jahr der Fußball-WM in Deutschland und PUMA war der Trikotpartner der italienischen Nationalmannschaft. Seinerzeit habe ich dafür gearbeitet und wir haben großartige 500er in Azzurro-Blau für die EM restaurieren lassen und weiter für die WM genutzt. Diese wurden dann in den deutschen Großstädten für Promoaktionen auf die Straße gebracht. In Berlin sind wir selbst durch die Straßen gecruist. Das Brandenburger Tor war damals schon gesperrt, aber entlang der Friedrichstraße oder Richtung Straße des 17. Juni, das hat schon Spaß gemacht.
Auch diese Erinnerung spielte eine Rolle. Nun der echte Moment, den Anlasser zu ziehen. Für alle Nicht-Fiat-500-Fahrer: Es gibt keinen Schlüssel zum Umdrehen, sondern einen Hebel zwischen den Sitzen, den man ziehen muss, sobald die Zündung an ist. Der dazugehörige Choke spielt auch eine nicht zu unterschätzende Rolle, um schnell in Fahrt zu kommen…
Also los geht’s. Carlo noch einmal kurz geherzt, ein weiteres Mal bedankt und dann ab ans Lenkrad. Zündung an. Hand an den Hebel. Und kräftig ziehen. Perfekt. Springt sofort an. Wie ein Uhrwerk. Heute weiß ich: Carlo muss vor meiner Ankunft ein paar Runden gedreht haben, damit der Fiat direkt perfekt in guter Drehzahl läuft. Kaum ein kalter Fiat 500 läuft direkt wie ein Uhrwerk… Aber in dem Moment egal. Gepäck war verstaut. Flasche Wasser lag griffbereit. Handy und Powerbank ebenfalls.
Gang 1 rein, Kupplung kommen lassen und fast wäre ich aus der Garage gehüpft! Also Stopp! Ok, die Kupplung kommt echt früh und ich muss doch ordentlich Gas geben. Carlo erklärte mir noch einmal alles. Versuch 2. Endlich! Ich rollte sanft aus der Garage auf die Straße, sagte tschüss, um dann so richtig mit der Hupe auf italienisch „Ciao“ Alarm zu machen. Tutto bene! Perfetto!
Puls nicht ruhig, aber ok und die erste Ampel mit italienischem Mittagsverkehr in Sicht. Ein richtig gutes Gefühl. Fenster waren weit offen, das Dach auch, die Ampel erreicht und direkt auf grün hoppelte ich wieder los auf die dreispurige Straße. Kräftig Gas geben, zweiter Gang, wieder Gas geben und erst jetzt merkte ich: So richtig viel Beschleunigung kommt da nicht. Mein erster Käfer hatte dagegen einen Turbolader… Nicht stressen lassen von den Autos links, hinter dir und ja, auch rechts von mir, wurde ich überholt. Ich suchte verzweifelt Schilder, um aus der City zu kommen und fuhr einfach mit.
Nach ein paar Minuten war klar: Falsche Richtung, mein Weg führte auf die Bundesstraße Richtung Süden. Ich wollte aber Richtung Nord-Osten. Ich stoppte, schnappte mir mein Handy, die Route war noch nicht eingegeben. Ein wirkliches Tagesziel hatte ich auch noch nicht. Ich wusste nur, heute möchte ich noch ans Meer. In Google Maps musste ich zunächst noch im Filter einstellen, dass ich keine Autobahn fahren möchte. Mit dem Blick auf die Karte suchte ich den kleinen Ort Rocca Imperiale. Im Vorfeld hatte ich schon geschaut: Wo gibt es Städte für Stopps. Der Name Rocca Imperiale ist mir früh aufgefallen. Von Cosenza waren es jetzt auch nur 130 km – mein Navi kalkulierte knapp 2 Stunden Fahrt. Klingt gut, am frühen Nachmittag bereits am Meer. Es kam leicht anders.
Endlich auf der Straße. Ich fuhr meine angezeigte Route. Aus Cosenza raus sind nun keine Prachtalleen, der Weg führte durch Hochhaussiedlungen, raus aus der Stadt ins Industriegebiet. Aber das war in diesem Moment echt egal. Ich fuhr tatsächlich auf süditalienischen Straßen in einem alten Fiat 500. Kurz nach dem letzten Industriegebiet von Cosenza wurde es auch sehr schnell sehr ländlich. Straßen konnte man das zeitweise auch nicht nennen. Meist war aber sowieso eine Geschwindigkeit nicht schneller als 50 km/h erlaubt. Also tuckerte ich von Feld zu Feld gen Osten. Einige Male stoppte ich, um ein Foto zu machen. In Dörfern, auf Feldwegen, an riesigen Kakteen. Ich spürte, eine große Anspannung war weg von mir. Der Fiat lief, Kilometer um Kilometer, das Meer kam immer näher.
Die letzten Kilometer vor der Küste führten mich über eine besser ausgebaute Bundesstraße. Mit Tempo 85 war ich voll im Geschwindigkeitsrausch. Rocca Imperiale laut den Schildern greifbar. Denkste. Der Fiat meldete sich. Das Gas ging zurück, er bockte, er zickte, er hüpfte und genau in diesem Moment kreuzte ich eine kleine Abfahrt der Bundesstraße. Lenkrad umgeschmissen und runter. Das am Ende stehende Stoppschild erreichte ich nur noch im Ausrollmodus. Na super! Versuche, den Kleinen wieder anzubekommen? Vergebens. Der Motor wollte nicht. Also raus aus dem Fiat, Motor und Kofferraumhaube auf und als Ahnungsloser überlegen, was ist das Problem? Warnblinkanlage? Gab es nicht… Ich hatte jetzt auch keine Angst, dass der Motor kaputt gegangen ist oder so etwas Ähnliches, dafür lief der Motor zu ruhig. Ich hatte eher eine peinliche Vermutung! Benzin leer. Beim Fiat ist der Tank ja vorne im Kofferraum, ähnlich wie beim Käfer. Geöffnet kann man auch mit einer Taschenlampe reinschauen und meine Vermutung bestätigte sich. Der Tank war ziemlich sicher leer! Wie peinlich! Hatte Carlo nicht gesagt, der Tank sei voll? 20 Liter? Ich habe doch auch eine Tankleuchte am Tacho. Die hatte sich auch nicht gemeldet. Fakt aber war, der Tank war leer.
In diesem Moment kam ein Auto aus der gleichen Richtung. Ein alter Fiat Panda 4×4, auch ne echt coole Karre. Ich hielt den Panda an und gestikulierte mit vielen Bewegungen, dass ich liegengeblieben bin und eine Tankstelle benötige. Ich zeigte dem älteren Herrn mein noch originalverpacktes Abschleppseil und fragte über meine Übersetzungs-App, ob er mich an die Tankstelle ziehen kann, die 1,5 km von hier entfernt sei.
Kurz musste er überlegen, das merkte man, aber letztendlich rutschte ihm ein hilfsbereit klingendes “Si” raus und wir befestigten mein Abschleppseil an beiden Seiten und schon rollten wir Richtung Tankstelle. Nach gut zwei Stunden erstmals am Haken… So ganz hatte ich mir das nicht vorstellen können, aber egal… Die Menschen waren hier alle so hilfsbereit. Ich hätte auch schieben können. Meiner Fitness hätte es gut getan. Aber so war es auch gut. Tankstelle in Sicht. Schnell noch ein Foto durch die Scheibe vom Panda. Angekommen. Sah ziemlich geschlossen aus. Fehlte nur noch der Heuballen, der an mir vorbeirollt… Ein Blick auf die Uhr machte es deutlich. 13:30! Na klar. Mittagspause… Zum Glück “nur” bis 15 Uhr, andere Italiener verlängern ihre Pausen auch gern mal auf 16 Uhr oder noch später.
Glücklicherweise lag direkt neben der Tankstelle ein Kiosk mit Café, der um 14 Uhr wieder öffnete. Schnell lernte ich Franco kennen. Ihm gehörte der Kiosk und wir kamen ins Gespräch. Seine Siebespressomaschine war vom Feinsten, sein 90 Cent Espresso hatte eine traumhafte Crema. Dazu ein Cornetto, das Warten war jetzt mehr als entspannend. Er erzählte mir einiges von Stuttgart und Ludwigsburg. Er hätte da schon gewohnt und er schwärmte von Mercedes und Porsche. Das sollte ich noch einige Male hören in den kommenden Wochen… Kurz vor 15 Uhr spürte ich dann wieder eine so typische deutsche Nervosität. Kommt da auch wirklich jemand für die Tankstelle? Steht ja 15 Uhr dran! 20 Minuten später war noch immer nichts zu sehen. Aber dann, ein kleiner Lieferwagen fuhr auf das Grundstück, ein Mann in Blaumann stieg aus. Ja, das könnte der Tankwart sein. Er war es auch, aber signalisierte, er brauchte noch einen Moment… Egal, die Tankstelle war besetzt, ich wartete geduldig.
Letztendlich durfte ich um 15:30 an die Zapfsäule. Ich positionierte den Schlauch, schliesslich passten über 20 Liter in den Tank und man musste immer wieder neu ansetzen. Ok, mein Grund auf der Straße liegen geblieben zu sein, war ziemlich eindeutig. Also schnell alles wieder verstauen, Franco noch tschüss sagen und dann sollte der Versuch, den Fiat anzuschmeißen, funktionieren. Der Anlasser heulte auf und man hörte, er versucht zu zünden. Es dauerte zwei, drei Versuche, aber dann… Ja, der Motor läuft, Benzin ist wieder am Motor angekommen, es kann endlich weitergehen. Schnell noch ein Foto vom Kilometerstand, ich wollte nichts mehr dem Zufall überlassen. Von hier 200 km, dann spätestens wieder an die Säule. Und los…
Die Hitze war mittlerweile verflogen, ich steuerte zurück zur Bundesstraße. Über eine Landstraße mit Meerblick fuhr ich weiter an der Küste entlang. Während meiner Wartezeit hatte ich mich auf Lido di Metaponto festgelegt, das lag noch einmal 40 Kilometer weiter Richtung Osten von Rocco Imperiale entfernt. Ein kleiner Strandort, der Ende April noch ziemlich verschlafen wirkte. Letztendlich bin ich bei Attilio untergekommen. Attilio war ein Oliven-Landwirt, dessen Familie schon über Generationen Olivenöl produziert. Er lebt in Metapont mit seiner Familie in einem großen Bauernhaus. Nebendran haben sie ein modernes Ferienhaus gebaut, welches ich für die erste Nacht gemietet habe. Eine traumhafter Fleck Erde. Natur pur, mittendrin die beiden Häuser und sonst nichts. Erst rund um 19 Uhr habe ich die Unterkunft gemietet, direkt vor Ort, da ich noch unsicher war, ob ich auch immer meine Unterkunft erreiche, für die ich mich entscheide. Das funktionierte ziemlich gut!
Als ich auf den Hof gefahren bin, grinste die ganze Familie. Attilios Frau hatte auch einen alten Fiat 500 und fand es super, dass ich mit meinem kleinen 500 vorgefahren bin. Es gab erst gar nicht das Eis, was man brechen musste. Sie plapperte auf italienisch direkt los, ihre Söhne übersetzten in Englisch. Sie dachten zunächst, ich habe den Fiat gemietet und fahre hier in der Gegend ein wenig damit rum. Ich hatte ja ein Nummerschild aus Cosenza. Als sie verstanden hatten, dass ich irgendwann damit in Stuttgart ankommen wollte, waren sie schon sehr überrascht, aber sie fanden es auch ziemlich cool. Vielleicht auch ein klein wenig verrückt! Attilio war noch an den Olivenbäumen unterwegs, ich sah ihn auf dem Traktor. Sie zeigten mir alles, es war ein tolles komplett neu eingerichtetes Haus, an dem es nichts fehlte. Siebespressoschine inklusive. “Perfetto”, sagte ich nicht nur einmal.
Anschließend packte ich meine Sachen ins Haus, habe mir noch schnell eine Pizza aus dem Ort geholt und den Sonnenuntergang mittendrin im Olivenhain mit Vino und Pizza genossen. Großartiger erster Abend. Ich startete noch meine Drohne, machte einen Erkundungsflug über das gesamte Gebiet und schickte anschließend die Bilder begeistert nach Hause. Jetzt fühlte sich sie Reise auch wie ein echter Roadtrip an. Der nächste Tag durfte kommen. Bari is calling.
Bald geht es weiter mit Teil 3.