2020 wird uns allen noch lange als das Corona-Jahr in lebhafter Erinnerung bleiben. Viele von uns sahen sich plötzlich – von einem auf den nächsten Tag – vor die Herausforderung gestellt, nicht nur das eigene Home-Office zu organisieren, sondern in vielen Fällen auch noch Home-Schooling mit den Kindern auf die Spur zu bringen. Keine leicht Aufgabe, aber irgendwie haben wir es hinbekommen.
Während Onlinehändler und die Fahrradbranche als Gewinner aus der Krise hervorgehen, hat sie Branchen wie z.B. die Eventbranche, die Gastronomie und auch die Hotellerie extrem hart getroffen. Kurzarbeit ist an der Tagesordnung. Viele Mitarbeiter hat er noch heftiger erwischt und sie sind jetzt arbeitslos. Besonders Menschen über 50 haben es bekanntlich schwer bei der Jobsuche. Doch es gibt auch immer wieder Beispiele, die Hoffnung und Mut machen. So wie das Beispiel von Helge Lütters (Jg. 1967) aus Hochheim am Main im südhessischen Main-Taunus-Kreis.
Helge Lütters ist Hotelier mit Leib und Seele. Seit über 30 Jahren hat er in namhaften Hotels (u.a. Mandarin Oriental in San Francisco, Hotel Esplanade in Berlin oder dem Schwarzen Bock in Wiesbaden) in teils führender Position gearbeitet und hat immer Vollgas gegeben. Zuletzt als General Manager in einem mittelgroßen Hotel in Bad Nauheim. Dann kam Corona und die Buchungen blieben aus. Mitte Juni bekam er die Nachricht, dass auch er entlassen wird.
Nach zahlreichen Absagen auf seine Bewerbungen hat er beschlossen, sein Schicksal in die Hand zu nehmen und ist einen – für ihn neuen und ungewöhnlichen Weg – gegangen. Er hat öffentlich, über diverse Social Media Kanäle, auf seine Situation aufmerksam gemacht. Doch immer der Reihe nach.
Nachdem der dreifache Familienvater und leidenschaftliche Hobbykoch es zunächst auf dem üblichen Weg versucht hat und aufgrund der aktuellen Corona-Situation immer nur Absagen erhielt, wurde ihm klar, dass die Situation spätestens im Frühjahr 2021 bedrohlich für die fünfköpfige Familie wird, da die Miete weiter bezahlt, die Mäuler weiter gestopft und die laufenden Rechnungen bezahlt werden müssen.
Obwohl er – wie er selbst sagt – ein „Social-Media-Muffel“ ist, beschloss er, etwas Neues zu versuchen. Er setzte sich hin und verfasste einen offenen und sehr persönlichen Post zu seiner aktuellen Situation und veröffentlichte diesen auf Facebook und LinkedIn. Er erklärte anschaulich und nachvollziehbar, wieso er in der misslichen Situation steckt und vor allem, was er einem möglichen neuen Arbeitgeber bieten kann. Zudem bat er darum, dass Menschen, die seinen Post lesen und keinen heißen Tipp für ihn haben, diesen zumindest mit ihren Followern teilen sollten. Helge hatte die Hoffnung, dass sich vielleicht so 2-3 Leute bei ihm melden würden.
Was dann geschah, grenzt für Helge an ein kleines Wunder und macht ihn, wie er selbst in einem Dankespost schreibt, demütig. Innerhalb von wenigen Stunden wurde sein Post über 900 (!) Mal geteilt. Wildfremde Menschen hinterließen ermutigende Kommentare, lobten ihn für den mutigen Schritt öffentlich auf seine Situation aufmerksam zu machen und sprachen ihm Mut zu.
Noch besser: Es meldeten sich zahlreiche Menschen mit Tipps, Kontakten und auch mit 2-3 konkreten Jobangeboten. Auch ein Hotel-Fachmagazin und ein regionaler TV Sender wurden auf Helge aufmerksam und planen, über ihn zu berichten.
Sein Ziel – einen neuen Job zu finden – hat Helge zwar noch nicht erreicht, aber es ergeben sich Perspektiven und anders als noch vor wenigen Tagen, schaut er wieder positiv nach vorn und hat neuen Mut geschöpft.
Wir finden das eine sehr motivierende und inspirierende Geschichte, denn sie zeigt, dass das Netz nicht nur Hass, Neid und Fake News verbreitet, sondern manchmal auch für kleine Wunder sorgen kann. Darum haben wir Kontakt zu Helge aufgenommen und ihm ein paar Fragen gestellt.
Interview mit Helge Lütters
Helge – erzähl mal: Wie kam es zu dem Entschluss, Deine Geschichte über Social Media öffentlich zu machen?
Nachdem meine Bemühungen auf dem üblichen Weg – in Form von jeder Menge Bewerbungen auf ausgeschriebene Stellen – nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben, überlegte ich, welche anderen Möglichkeiten es gibt, potenzielle Arbeitgeber auf mich aufmerksam zu machen. Im Laufe meiner inzwischen 30-jährigen Berufstätigkeit habe ich eine Menge Leute kennengelernt und habe selbst häufig andere Kollegen weiterempfohlen. In der Hotelbranche gibt es einen tollen Zusammenhalt nach dem Motto “man kennt sich, man hilft sich”. Also dachte ich mir, dass ich mein Netzwerk nutzen könnte, um im Idealfall über Empfehlungen an einen neuen Job zu gelangen. Ich gebe aber gern zu, dass es mir nicht leicht gefallen ist, so öffentlich darüber zu sprechen, dass ich auf Jobsuche bin. Doch die vielen positiven Reaktionen zeigen, dass es eine richtige Entscheidung war.
Fass bitte mal die Resonanz zusammen. Hat sich schon ein konkretes Jobangebot ergeben?
Die Resonanz hat mich völlig überwältigt. Ich hatte zwar die Hoffnung, dass sich der eine oder andere bei mir meldet oder auch meinen Post teilt, aber mit dieser massiven Reaktion habe ich nicht gerechnet. Alleine auf Facebook wurde der Post über 900 mal geteilt. Bei LinkedIn ein ähnliches Bild. Am meisten freue ich mich über die vielen aufmunternden Kommentare – von teils wildfremden Menschen von Korea bis San Francisco! Zudem habe ich wahnsinnig viele Emails, Anrufe und auch hilfreiche Tipps zur Vernetzung mit anderen Personen bekommen. Das tat der Seele richtig gut. Ein konkretes Jobangebot habe ich zwar noch nicht erhalten, aber ich hatte immerhin schon drei Job-Interviews, aus denen sich im Frühjahr 2021 etwas entwickeln könnte. Kurz: Ich bin sehr happy und schaue (wieder) zuversichtlich nach vorn. Ein weiterer toller Nebeneffekt ist, dass ich mit der Aktion ein paar Kollegen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, motivieren bzw inspirieren konnte, ebenfalls neue, kreative Wege bei ihrer Bewerbung zu gehen.
Wahrscheinlich wird es mittelfristig kaum neue Jobangebote geben, wenn die Pandemie anhält. Welche Chancen rechnest Du Dir aus?
Zunächst einmal bin ich Optimist und gehe davon aus, dass sich die Situation durch die Impfungen und sonstigen Maßnahmen spätestens im Herbst 2021 wieder einigermaßen normalisiert hat. Durch meine Posts in den sozialen Medien haben sich – wie schon erwähnt – inzwischen einige interessante Gespräche ergeben. Daher weiß ich, dass viele Hotelketten quasi in “Wartestellung” sind und die Zwangspause durch Corona nutzen, um ihre Häuser zu modernisieren und zu renovieren. Hier sehe ich meine Chance, denn im Laufe der Jahre habe ich gerade im Bereich Umbauten, Renovierungen und Neueröffnungen eine Menge Erfahrung sammeln können, von denen ein zukünftiger Arbeitgeber stark profitieren kann. Ansonsten hoffe ich darauf, dass der Staat – wie schon beim Kurzarbeitergeld – auch das Arbeitslosengeld I verlängert. Sonst wird es ab März kritisch für mich.
Hast Du die Hotelbranche vor Corona als krisensicher wahrgenommen?
Die Hotelbranche war nie krisensicher und wird es meines Erachtens auch niemals sein, denn sie reagiert immer sehr sensibel auf aktuelle wirtschaftliche und weltpolitisch Entwicklungen. Beispiele sind die Lehman Brother Pleite und der damit verbundene Börsencrash, der Irakkrieg, 9/11 und aktuell natürlich Corona. Aber die Branche hat sich nach solchen Krisen auch immer wieder “berappelt”, denn es wird immer Menschen geben, die aus beruflichen oder privaten Gründen reisen und übernachten wollen oder müssen. Ich bin optimistisch, dass das auch nach Corona der Fall sein wird.
Wie flexibel muss man für eine Karriere sein und ist es eine familienfreundliche Branche?
Na klar, der Hotelberuf erfordert auf jeden Fall eine gewissen Flexibilität. Das hat mich nie gestört. Im Gegenteil. Die Möglichkeit bzw. Chance, durch den Job auch fremde Länder zu sehen und dort arbeiten zu können, ist einer der Gründe, warum ich mich in jungen Jahren dafür entschieden habe. So konnte ich u.a. in San Francisco, auf Bali und in Australien leben und arbeiten. Ein Traum. Wichtig ist, dass die Familie einen dabei unterstützt. Auch was die Arbeitszeiten betrifft. Wer im Hotel arbeitet, hat eben keinen “9 to 5 Büro-Job”. Wie in vielen anderen Berufen auch gibt es auch mal Schicht-, Nacht- oder Feiertagsdienst. Aber das ist jedem bewusst, der sich für den spannenden und abwechslungsreichen Job in der Hotellerie entscheidet.
Du scheinst soziale Netzwerke bis dahin wenig genutzt zu haben. Haben deine Erfahrungen deine Meinung darüber verändert?
Es ist jetzt nicht so, dass ich soziale Medien vorher nicht genutzt hätte. Mein LinkedIn Profil habe ich schon immer up to date gehalten und auch auf Facebook bin ich privat aktiv. Neu ist, ist das ich “das Netz” genutzt habe, um öffentlich auf eine eher private Situation aufmerksam zu machen, über die man ansonsten vermutlich nicht öffentlich sprechen würde. Arbeitslos zu sein ist bei manchen Menschen ja eher ein Tabuthema, das man häufig sogar verheimlicht. Aber ich bin – durch Corona – unverschuldet in diese Situation geraten und auf Menschen, die “die Nase rümpfen” weil ich arbeitslos bin, verzichte ich gern. Die Reaktionen auf meinen Post zeigen schon die “Macht” (im positiven Sinne), die das Netz haben kann.
Wie hat sich dieses Jahr für Dich angefühlt, der Du wahrscheinlich 30 Jahre lang beruflich immer Vollgas gegeben hast?
Stimmt. Und so bin ich auch mit Vollgas aus der Kurve geflogen. Ich hatte immer Glück und da ich – in aller Bescheidenheit – auch gut in meinem Job bin, war ich mir sicher, dass ich mir wegen einer Arbeitslosigkeit eigentlich keine Sorgen machen muss. Doch mit Corona und den Folgen habe ich nicht gerechnet. Obwohl ich weiß, dass es nicht unbedingt an mir liegt, führen Absagen zu Frust. Man zweifelt zwangsläufig an sich selbst und fragt sich, ob man (auch Ü50) noch attraktiv genug für den Arbeitsmarkt ist. Ich habe versucht, das Beste aus der Situation zu machen und habe mich durchs Joggen fit gehalten, hab viel Sport gemacht und bin meiner Leidenschaft als Hobbykoch nachgegangen. Wichtig war, einen Tagesrhythmus beizubehalten. Also morgens mit der Familie aufzustehen, tagsüber ein paar Bewerbungen zu schreiben, Weiterbildungsmöglichkeiten zu eruieren und die Entwicklungen im Hotelmarkt weiter zu verfolgen, damit man den Anschluss nicht verliert. Eine positive Sache war, dass ich viel Zeit mit den Kids und der Familie verbringen konnte. Wir sind eine moderne Familie und ich habe überhaupt kein Problem damit, dass ich es im Moment bin, der sich hauptsächlich um den Haushalt kümmert, mittags für die Kinder kocht und auch mal Wäsche wäscht, während meine Frau arbeiten geht.
Was können andere Männer 50plus von dieser Geschichte lernen?
Arbeitslosigkeit ist keine Krankheit und kein Grund sich zu schämen. Es kann jeden treffen und plötzlich fühlt man sich allein und hilflos. Es ist wichtig, nicht zu verzweifeln und sich von einer Negativspirale nach unten ziehen zu lassen. Ich kann nur dazu raten, aktiv zu werden und sein Schicksal in die Hand zu nehmen. Nicht jeder muss unbedingt einen Post in den sozialen Medien veröffentlichen, aber man sollte auf jeden Fall seine Freunde und sein Netzwerk darüber informieren, dass man auf Jobsuche ist. Heutzutage kommen viele Jobs nicht durch eine klassische Bewerbung zustande, sondern über Empfehlungen. Es gibt immer jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt.
Lieber Helge, vielen Dank für die offenen und ehrlichen Worte. Wir wünschen Dir ganz fest eine neue berufliche Perspektive im neuen Jahr. Vielleicht hat deine Geschichte anderen Männern aber auch Mut gemacht, neue Wege auszuprobieren…
Alle, die evtl. einen Kontakt oder gar einen Job für Helge haben, können ihn unter helge@luetters.net erreichen.