Kürzlich erreichte uns eine wundervolle Geschichte von Ole Müggenburg und seinem Ciao Mofa. Da steckt neben dem unterhaltsamen Roadtrip auch ziemlich viel „not too old“ drin, daher wollen wir sie euch nicht vorenthalten. Bitte sehr, Helm auf und los geht die wilde Fahrt…
Mit der Ciao von Hamburg ins Wendland
Eine Reise ins Ich – oder was davon übrig ist nach 50 Jahren.
Die Vibrationen des Motors lassen die Endorphine in meiner Blutbahn Blasen bilden. Schöne Frauen in SUVs strahlen mich an Ampeln an, während ihre Männer missmutig nach vorn auf die Fahrbahn starren. Es kommt zu unkontrollierten Ausbrüchen von Zuneigung und Begeisterung. Die Sonne strahlt und ich überquere die Kennedybrücke, während weiße Segelboote auf der Außenalster glitzernd an mir vorbeiziehen.
Ich bin glücklich. Vollkommen glücklich. Ich möchte schreien. Aber stattdessen singe ich „Long Hot Summer“ von Style Council. Und das auch noch, als die rote Ampel mich stoppt und der Typ im BMW neben mir verstört rüber schaut. „Shu du du du, du de de wop. Shu du du du, du de de wop.“ Ich denke „Nimm dies, du Prolet!“ und drehe am Gas.
Nein – ich sitze in keinem Porsche 911 Cabrio von 1972. Ich habe gerade kein Start-Up verkauft und feiere nicht siegestrunken einen lukrativen Börsen-Exit. Nein. Ich sitze auf einem Mofa und schleiche mit 30 Km/h durch den Berufsverkehr. Ja, ein Mofa. Genau genommen eine schwarze Piaggio „Ciao.“ Ein Wort wie ein Video Clip von Wham. Wie das erste Mal Pizza essen. Wie das erste Mal Cappuccino trinken. „T-schau“. Ja – ein Wort wie ein aufregendes Leben.
Aufregend, so fühlte sich das damals an für mich Anfang der Achtziger Jahre. Die „Ciao“ bringt das Gefühl dieser Zeit auf den Punkt. Statt mit einer Zündapp oder Kreidler vor dem örtlichen Jugendzentrum abzuposen, wollte der gepflegte Heranwachsende damals auf diesem Symbol mediterranen Lebensstils lieber lässig vor der Eisdiele halten und blonde Schönheiten in Edwin Jeans und Allround Turnschuhen mit einem souveränen Küsschen begrüßen. So ein 15-jähriger wie ich. Und so kramte ich 100 Mark zusammen, um bei einem kettenrauchenden Ex-Bundeswehrsoldaten die begehrte Prüfung zum Führen eines „motorisierten Fahrrades“ zu machen.
Nichts kann das Gefühl von Freiheit beschreiben, das meinen Körper befiel, als ich das erste Mal mit einer geliehenen, weißen Piaggio Ciao in Richtung des damals supercoolen „Schaulandt“ Stores fuhr. Wobei das damals nicht „Store“, sondern einfach nur „Plattenladen“ hieß. Der Fahrtwind kühlte meine erhitzten Gedanken, denn ich war der festen Meinung, dass die hübsche 16-jährige eben an der Ampel mit Sicherheit rüber geschaut hatte.
Auch jetzt werde ich angeguckt. Aber eher amüsiert mitleidig. Denn ich habe vor Hamburgs größtem Motorrad-Händler Detlev Louis gehalten, um mir ein billiges Regencape zu kaufen. Ausgerechnet zu Beginn meiner Tour ins niedersächsische Wendland kündigt sich ein massives Sommergewitter an und es sieht nicht so aus, als könnte ich dieses bei einer Thüringer und einer Spezi aussitzen. Die nicht sonderlich vorteilhaft gealterten Jungs an der Wurstbude grinsen mich in ihren Lederkombis freundlich an, während ich leicht angewidert neben so etwas wie dem „Honda Goldwing Club Bad Bevensen“ einparke.
Wie war ich bloß in diese entwürdigende Situation gekommen? Warum fahre ich als gestandener, knapp 50-jährigen Mann mit einem Mofa durch Hamburg? Nun – in diesem Fall hat mein Sohn Schuld. Denn dieser wird gerade 16 und da es unter Rappern aktuell ungemein angesagt ist, eine Vespa zu fahren, fabuliert auch er von einem Plan, sich ein italienisches Gefährt anzuschaffen. Da ich selbst seit nunmehr 30 Jahren Blechroller fahre, weiß ich jedoch um die Gefahren des modernen Straßenverkehrs.
Für Stadtkinder ist der Sprung vom Laufrad auf eine Vespa aber in etwa so, als würde man einen Neandertaler auf ein Pedelec setzen. Im Ganzen also keine so gute Idee. Und darum reifte in mir der Plan, den jungen Herren erst einmal in der sicheren Umgebung unseres Hauses im Wendland die nötige Verkehrsfrüherziehung auf der kleinen Schwester der Vespa zukommen zu lassen.
Und so war ich über die Ciao gestolpert. Ja, ich gebe es zu – sie ist eine Internetbekanntschaft. Sie hat mich gleich angemacht. Super in Shape. Ohne Makel. Und irgendwie so herrlich billig. Ich musste sie haben!
Wir hatten gleich dieses Gefühl der Vertrautheit. Als wäre keine Zeit vergangen. Als wären wir nie getrennt gewesen. Dieses Gefühl, das einem nur eine alte, vertraute Liebe geben kann. Ich musste allein sein mit ihr. Nur wir beide. Und so reifte der Plan, uns an einem Sommertag ganze 115 Kilometer ins Wendland aufzumachen.
„Der Weg ist das Ziel, das sollte in sechs Stunden locker zu schaffen sein“, denke ich. Die Ciao zieht nach vorn wie ein junges Pferd, das morgens aus dem Stall gelassen wird. Wir werden langsam eine Einheit. Mein Grinsen im Gesicht ist so breit wie der Horizont der Hamburger Vierlande. Ich brause durch Hamburgs Gemüsegarten und wähne mich geradezu in den Niederlanden. Mäandernde Straßen führen uns entlang von Deichen, wunderschönen Fachwerk- und riesigen Gewächshäusern.
Nie ist mir die Schönheit dieser Gegend so bewusst geworden wie jetzt. Ich sauge den Geruch von gemähtem Gras und Schafherden in mich auf, ich spüre den Wechsel von Sonne und Wolken im Gesicht, ich lege mich jauchzend in die sanften Kurven der kleinen Straßen. Ich möchte singen, so schön ist das Reisen im „Zweitakt“ der Gefühle.
Ich bin wie gesagt nun schon über 50, aber ich war als gebürtiger Hamburger noch nie am „Zollenspieker Fährhaus“ und bin skandalöserweise noch nie mit der dortigen Fähre über die Elbe gefahren. Ich verstehe nun, warum dieser Ort der bekannteste Biker-Treff der Hansestadt ist. Die Elbe ist an dieser Stelle einfach atemberaubend schön. Breit wie der Amazonas vermag sie hier echte Wellen mit Gischt aufzutürmen, die Überfahrt erinnert an die Nordsee. Die Luft riecht nach Meer, die Möwen schreien, der Moloch Stadt ist ganz weit weg. Nirgends schmecken Fischbrötchen und Flensburger Pilsener besser als an diesem Ort.
Doch auch hier treffen mich wieder die mitleidig-wohlmeinenden Blicke der lieben Biker-Kollegen. Ich erwidere triumphierend ihre Blicke, denn ich weiß, was sie versäumen. Ich weiß, was das Großartige an einem motorisierten Fahrrad wie der Ciao ist. Nämlich, dass man außerhalb geschlossener Ortschaften offiziell auf Fahrradwegen fahren darf und sich nicht mit LKWs oder getunten VWs die Landstraßen teilen muss. Ich bin der König des Fahrradweges und verbinde die Vorteile des pedalgetriebenen Zweirades mit denen eines Motors.
Heisst: Ich kann alle Eindrücke in Ruhe in mich aufnehmen, muss mich aber dabei nicht abstrampeln. Irgendein Werber hat dafür irgendwann man den schrecklichen Begriff Entschleunigung erfunden. Denn eigentlich will ich ständig be-schleunigen, so viel Spaß habe ich am hochtourigem „Mähhh“ meiner Ciao Mopette.
Das Entscheidende am Mofa-fahren sind die Gerüche. Die Elbe, die Wiesen, die Wälder. Überall kann ich die pralle Natur in riesigen Konvoluten in mich reinsaugen. Und wie eine Perlenkette des Glückes warten entlang der Elbe gastronomische Stätten, die mich mit herrlichen Ausblicken und kühlen Bieren empfangen. Das alte Mofa-Gefühl ist wieder da. Ich genieße die Blicke der Zuschauer, wenn ich absteige und meinen Helm abnehme. Ich spüre die interessierten Blicke der Damenwelt und höre die freundlichen Kommentare ihrer Männer. Spätestens jetzt ist mir klar, dass ein Mofa wahrscheinlich sogar mehr punktet als ein T1 Samba Bus aus den 60ern. Entschleunigung ist die kostbarste Währung unserer hyperaktiven Mediengesellschaft. Wer auf einem Mofa reist, reist als vielbeneideter Millionär.
Das bilde ich mir jedenfalls ein, euphorisiert und berauscht von Birkenalleen und Roggenfeldern. Nach sechs Stunden „auf dem Bock“ verspüre ich trotzdem langsam echte Schmerzen und starken Durst. Zum Glück habe ich eine Zwischenstation bei einem Freund eingeplant, der unlängst mit seiner Familie aufs Land gezogen ist. Der Zufall will es, dass ausgerechnet an diesem Tag auch noch ein bekannter Koch am Grill steht und handgestreicheltes Bio-Entrecote wendet. Ja! Lieber Gott! Gib mir alles an Klischee, was du hast! Behaarte und tätowierte Männer, gutaussehende Frauen und eine Plethora an entzückend aussehenden Kindern und Hunden! Das habe ich doch als Mofafahrer verdient! Denn ich bin der Gott der Landstraße. Man möge mir ausreichend Gaben reichen!
Schnell weg, bevor ich auffalle. Denn ich habe ja noch ein Ziel vor Augen: die italienische Eisdiele im schönen Städtchen Dannenberg. Denn eins ist ja wohl klar. Zu jeder echten Fahrt mit einer Piaggio Ciao gehört das geschmeidig lässige Vorfahren bei einer italienischen Eisdiele. Ja, da lässt man sich Zeit beim Helmabnehmen, denn man spürt die gierigen Blicke des Publikums geradezu britzeln auf dem Körper. Ja, das ist supergeil, das ist schön. Das ist der Lohn der langen Reise. Da darf es dann auch der Italia Becher mit Cafe Crema sein.
Ich bin am Ende meiner Reise. Glücklich und müde. Nach 115 Kilometern und mehr als 8 Stunden Fahrzeit bleibt die Erkenntnis: Das Leben ist ein Kreis. Oder ein O. So wie in Cia-O.
Schon in den 80ern habe ich mich gefragt, warum es „die“ Mofa heißt, wo es doch ein „motorisiertes Fahrrad“ – als DAS – ist. Naja, sei’s drum. Mofas sind ein Stück Zeitgeschichte und es ist schön, dass man hin und wieder nochmal EINS sieht 😉
aaaargh.. zum hunderttausendsten Mal: DAS Mofa! 🤦🏻♂️ [EDIT: ist angepasst…]