Viele Männer haben gemischte Gefühle, wenn der 50. Geburtstag naht. Es wird plötzlich bewusst, dass die zweite Halbzeit des Lebens bereits läuft. Manchmal macht sich Unzufriedenheit im Job breit, Beziehungen fangen an zu kriseln und die pubertären Kinder rauben den letzten Nerv. Dazu kommen dann meist auch noch gesundheitliche Zipperlein. Dabei vergessen wir aber so manches Mal, wie gut es uns eigentlich geht. Heute möchten wir Euch Mike vorstellen. Der hat im Alter von 20 Jahren ein Bein verloren und trägt seitdem eine Beinprothese. Allerdings hat er über 25 Jahre gebraucht, sich wieder aufzurappeln und die Lebensfreude zurückzugewinnen. Daher lassen wir ihn seine Geschichte erzählen.
Mein Name ist Mike Schmitz, 50 Jahre jung, wohnhaft in Essen. Ich trage durch einen Schicksalsschlag seit 30 Jahren eine Beinprothese. Dazu möchte ich betonen, dass ich Knie-ex bin und kein Gelenk mehr habe.
Die ersten 26 Jahre trug ich nur eine Standard–Beinprothese und nahm nicht so richtig am Leben teil, ich war somit praktisch ein „fauler Sack.“ Vor ca. 4 Jahren erhielt ich dann eine Hightech-Beinprothese. Damit haben sich meine Aktivitäten und mein Lebenswille grundlegend verändert.
Ich bin ein sehr exzellenter Läufer und so bin ich auch schon für den Hersteller meiner Beinprothese auf den größten Fachmessen in Deutschland als Demoanwender für die Fachbesucher gelaufen, u. a. auf der OT-World in Leipzig (weltgrößte Fachmesse). Das Treppenlaufen (hoch-runter), Gefälle laufen, über Hindernisse laufen, dass ist jetzt alles kein Problem mehr.
Durch kontinuierliches und hartes Training habe ich mich wieder in die Gesellschaft zurückgekämpft. Seit dieser Zeit ist meine Lebensfreude wieder zurück, vor allem aber meine Lebensqualität. Denn ich…
- springe vom 3 Meter Brett / Beinprothese ist wassertauglich
- fahre Fahrrad zwischen 40-80 km pro Fahrradtour (nur Muskelkraft – kein E-Bike)
- mache Nordic Walking mit Zweibeinern / 5 km unter 45 Min. / 8,5 km 1 Std. 14 Min.
- bin im Aktiv-Urlaub / Wanderung bis 20 km
- betreibe Boxsport mit Zweibeinern
In meinem Boxstall Boxing Industry in Essen trainiere ich stets nur mit Zweibeinern. Vor allem wird keine Rücksicht auf meine Behinderung genommen. Man behandelt mich gleich!!! In diesem Boxstall trainiert auch der Box – Europameister im Schwergewicht Patrick Korte. Zufälligerweise haben Patrick Korte und ich den gleichen Trainer, nämlich Sebastian Tlatlik. Er ist so begeistert von meinem Training bzw. Boxen, dass ich bald wahrscheinlich einen offiziellen Boxkampf mit meiner Beinprothese bestreiten soll.
Eine große Ehre für mich, dass Patrick Korte mich auf seiner Homepage verewigt hat.
Zudem bin ich auch Botschafter für „Inklusion braucht Aktion“ und mache mich für Menschen mit einem Handicap stark. Auch ist Patrick Korte mein Partner für „Inklusion braucht Aktion“. Was mich unheimlich stolz macht ist, dass ich als Privatperson einen neuen Werbepartner gewinnen konnte. Es handelt sich hier um GOTHAER Versicherungskontor Rhein Ruhr.
Die gemeinsame Zusammenarbeit mit meinem Partner macht mir sehr viel Spaß. Auf die neuen gemeinsamen Aufgaben in der Zukunft freue ich mich schon sehr. Demnächst steht auch eine Nordic Walking Veranstaltung an, nämlich LAUF DES LEBENS im Essener Grugapark. Der Erlös kommt krebskranken Kinder zugute.
Mit meiner Facebook-Seite MIKE MACHT MUT mit über 4.400 Abonnenten möchte ich anderen Menschen mit einem Handicap inspirieren und motivieren und auch gesunden Menschen ein wenig die Augen öffnen.
Interview mit Mike Schmitz
Wir wollten es noch genauer wissen, daher haben wir Mike noch ein paar Fragen gestellt. Hier sind seine Antworten dazu:
Andere Männer haben Angst vor der 50, Du strotzt vor Energie. Warum hast Du so spät erst die Prothese bekommen, die alles verändert hat?
Ich bin sehr stolz, dass ich mit über 50 Jahren so eine Energie habe. Sicherlich liegt das jetzt aber an meiner Hightech Beinprothese. Natürlich hätte ich liebend gerne vorab schon viel eher mit meiner Hightech – Beinprothese losgelegt. Leider sieht es in der Praxis leider immer ein wenig anders aus. Zum Einen war vor 30 Jahren die Technik noch nicht so weit entwickelt, wie es heute der Fall ist. Ich lief ja 26 Jahre mit einer Standard – Beinprothese und musste mich beim Treppenlaufen immer an einem Handlauf festhalten. Beim Laufen eines Gefälles musste ich eine ganz andere Körperhaltung einnehmen. Dadurch konnte ich nicht soviel machen. Die Hightech Beinprothese gehört jetzt zu meinem Leben, viele Dinge werden vereinfacht und auch abgenommen. Zum Anderen ist es immer schwierig, dass Krankenkassen eine Hightech – Beinprothese einfach so bezahlen. Man muss schon viele Prüfungen meistern, vor allem aber auch viel Geduld mitbringen, damit man so eine Beinprothese erhält.
Mit 20 Jahren hast Du Dein Bein verloren. Wie hat das Dein Blick auf das Leben verändert?
Mit 20 Jahren stand ich ja beruflich schon voll im Leben. Habe meine Ausbildung absolviert und wurde sogar von meinem Arbeitgeber als Geselle übernommen. Gerne hätte ich auch dann meine Meisterprüfung absolviert. Durch meinen Schicksalsschlag hat sich mein Leben ja komplett geändert. Meine Zukunft war praktisch zerplatzt, weil ich meinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben konnte. So stand ich erst einmal vor einem Scherbenhaufen und hatte natürlich Zukunftsangst, weil ich nicht wusste, was alles so auf mich zukommt. Früher gab es ja auch keine sozialen Medien, wo man mal eben gucken konnte. ABER, ich habe auch diese Herausforderung angenommen. Neben meiner kaufmännischen Ausbildung, habe ich die Chance genutzt und habe mich berufsbegleitend durch die Abendschulen weitergebildet. Mit meiner alten Beinprothese nahm ich ehrlich gesagt gar nicht so richtig am Leben teil. Viele Dinge waren mit der Standard Beinprothese nicht möglich. Aus diesem Grund war ich auch ehrlich gesagt ein fauler Sack. Habe kaum Sport betrieben und habe sehr viel an Spielekonsolen verbracht. Eine Veränderung gab es ja dann mit der Hightech Beinprothese. Somit bekam ich eine neue Lebensqualität, vor allem aber eine neue Lebensfreude. Mit der neuen Beinprothese habe ich begonnen, alles wie einen trocken Schwamm aufzusaugen, um soviel wie möglich mit der neuen Beinprothese zu erleben. Mit der Veränderung habe ich einfach ein neues Leben erhalten.
Hast Du Dir damals Gedanken darüber gemacht, wo Du mit 50 sein möchtest oder war das noch zu weit weg?
Sicherlich habe ich mir sehr viele Gedanken gemacht, gerade im beruflichen Bereich als auch im privaten Bereich. Aber ein festes Ziel habe ich mir bis zum 50. Lebensjahr nie gesetzt. Das Leben ist eh schon so schnelllebig. Das einzige wo meine Gedanken damals gekreist sind, war eine Partnerin zu finden. Mit 30 Jahren war ich ja ausgerechnet auch noch Single. Aber auch hier hatte der liebe Gott seine Hand über mich. Mit STOLZ kann ich sagen, dass ich eine unheimlich tolle Frau vor über 18 Jahren kennengelernt habe. Sie hat meine Behinderung von der ersten Sekunde akzeptiert, weil ich für Sie als Mensch interessant war – und nicht wie viele Beine ich habe. Die Behinderung spielte für sie keine Rolle. Einfach eine tolle Frau mit großem Charakter. Heute gehen wir gemeinsam durch dick und dünn. Vor allem unterstützt mich meine Frau in allen Belangen – gerade auch im sportlichen Bereich.
Denkst Du manchmal dran, wo Du heute wärst, wenn Du noch beide Beine hättest?
Das ist wirklich eine sehr gute und interessante Frage. Aber eigentlich kann ich diese Frage wirklich nicht beantworten. Das was ich dazu sagen kann, dass ich wahrscheinlich nie so eine tolle Frau vor 18 Jahren kennengelernt hätte!!!!!
Du möchtest andere Menschen inspirieren. Was ist Deine Botschaft?
Das ist wirklich meine Lebensaufgabe geworden, andere Menschen mit einem Handicap zu inspirieren, aber auch zu motivieren. Meine Botschaft ist ganz klar: Niemals aufgeben, immer an sich glauben, vor allem nie die Hoffnung aufgeben und immer selbst an sich arbeiten – abgesehen was andere Menschen sagen oder denken. Ich laufe fast nur mit kurzen Hosen herum, um meine Beinprothese zu präsentieren, aber auch vielleicht, um anderen Menschen noch mehr Mut und Kraft zu geben. Das viele Menschen Ihr Selbstbewusstsein weiter stärken. Vor allem möchte ich aber gesunden Menschen ein wenig die Augen öffnen. Viele gesunde Menschen sind gar nicht informiert und anstatt zu helfen oder das Gespräch zu suchen, wird lieber getuschelt.
Was sind Deine Pläne für die nächsten Jahrzehnte?
Meine Pläne für die nächsten Jahrzehnte sind ganz klar gesteckt. Die Gesundheit hat absolute Priorität. Zum Anderen wünsche ich mir, dass mein Stumpf weiter so mitspielt wie die letzte 30 Jahre. Damit ich natürlich weiter meinen Sport mit Herzblut leben kann wie z. B. Boxen, Nordic Walking, Schwimmen (Beinprothese ist wassertauglich), Wandern, Fahrrad fahren.
Und für was fühlst Du dich „not too old“?
Ich fühle mich eigentlich für nichts zu alt. Mit meinen 50 Jahren stehe ich voll im Leben, dazu bin ich ein „verrückter Vogel“ und freue mich immer wieder auf neue Aufgaben bzw. Herausforderungen. Ehrlich gesagt fühle ich mich nicht wie 50 Jahre, sondern eher wie 30 Jahre. Habe mir in meinem Alter noch einige Tattoos stechen lassen…
I’m not too old, I am too crazy for the world.
Lieber Mike, vielen Dank für die vielen Infos und Deine besondere Geschichte. Wir wünschen Dir gesundheitlich und auch für Deine vielen Projekten weiterhin den maximalen Erfolg. Rock on!
Titelbild: © Christina Leyers