Neulich haben wir uns im Magazin mit dem Halbmarathon beschäftigt, der goldenen Mitte zwischen sportlicher Herausforderung und machbarem Ziel für Männer im besten Alter. Für viele ist der 21-Kilometer-Lauf der perfekte Einstieg in die Welt der Langstrecken: ambitioniert, aber erreichbar. Doch sobald das Wort Marathon fällt, verändert sich die Stimmung. Respekt, Ehrfurcht und bei manchen Hobbysportler*innen auch Frust.
Denn wer sich einmal auf das Abenteuer 42,195 Kilometer eingelassen hat, weiß: Der Weg zum Ziel ist lang, nicht nur geografisch. Und trotz fleißigem Training, modernen Laufuhren, Intervallplänen und Podcasts über mentale Stärke scheitern viele Männer an ihrer Wunschzeit oder überhaupt daran, das Ziel zu erreichen. Woran liegt das?
Eine überraschende Antwort liefert die Wissenschaft: Es könnte an deinen Genen liegen.
Die Sache mit der Genetik: Nicht jeder Körper ist für Ausdauer gemacht
Laufen ist eine der ursprünglichsten Bewegungsformen des Menschen. Schon unsere Vorfahren jagten in der afrikanischen Savanne über weite Distanzen. Und das nicht weil sie besonders schnell waren, sondern weil sie ausdauernd waren. Der Mensch ist ein Lauftier. Soweit die Theorie.
Aber wie Genforscher Dr. Daniel Wallerstorfer erklärt, ist nicht jeder Mensch im selben Maß für lange Strecken gemacht.
„Unsere DNA bestimmt mit, ob wir für Langstrecken gemacht sind“
erklärt der Molekularbiologe, der mit seinem Unternehmen NovoDaily seit Jahren den Zusammenhang zwischen Genetik, Ernährung, Gesundheit und Fitness erforscht.
Besonders spannend ist dabei das sogenannte ACTN3-Gen. Es entscheidet mit darüber, ob dein Körper eher für Kraft oder für Ausdauer gebaut ist. „Ob jemand eher zu Ausdauer- oder Kraftsport veranlagt ist, wird einem in die Wiege gelegt“, sagt Wallerstorfer. Nur rund 20 Prozent der Menschen bringen die ideale genetische Veranlagung für Langstrecken mit. Die übrigen 80 Prozent haben weniger optimale Voraussetzungen. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass sie den Marathon gleich vergessen sollten.
Im Gegenteil: Wer seine körperlichen Stärken kennt, kann durch gezieltes Training, passende Ernährung und clevere Regeneration oft mehr aus sich herausholen als viele glauben.

Fast- oder Slow-Twitch? Was deine Muskelfasern über dich verraten
Ein zentrales Element in dieser genetischen Veranlagung sind die Muskelfasern. Genauer gesagt: die sogenannten Fast-Twitch- und Slow-Twitch-Fasern. Menschen mit einem funktionierenden ACTN3-Gen verfügen über viele Fast-Twitch-Fasern. Diese weißen Muskelfasern sind auf kurze, explosive Kraftleistungen ausgelegt – etwa beim Sprint, beim Hochsprung oder beim Gewichtheben. Sie ermüden schnell, liefern aber für einen kurzen Zeitraum enorme Energie.
Anders bei den Slow-Twitch-Fasern, die durch einen Defekt im ACTN3-Gen stärker vertreten sein können. Diese roten Muskelfasern sind besonders gut durchblutet, ermüden langsam und können über viele Stunden hinweg gleichmäßig Leistung erbringen – ideal für Marathonläufer.
„Etwa 20 Prozent der Bevölkerung haben einen Defekt in beiden ACTN3-Genen. Sie verfügen über weniger Fast-Twitch-Fasern, aber dafür über mehr Slow-Twitch-Fasern“, erklärt Dr. Wallerstorfer. „Diese Menschen haben genetisch bedingt eine bessere Grundlage für Ausdauersport.“
Zusätzlich spielt das ACE-Gen eine Rolle, das Einfluss auf die Regulation des Blutdrucks und damit auf die Sauerstoffversorgung hat. Menschen mit der sogenannten Ausdauervariante dieses Gens können ihr Herz-Kreislauf-System effizienter nutzen – ein echter Vorteil auf der Langstrecke.
Die Kombination aus funktionalem ACTN3-Gen und dem passenden ACE-Gen ist also quasi der genetische Lotto-Gewinn für Marathonläufer. Aber auch ohne diesen Jackpot kannst du viel erreichen, wenn du deine individuellen Voraussetzungen kennst und damit arbeitest, statt gegen sie.
Genetik als Trainingshilfe – nicht als Ausrede
Das Wissen um die genetische Ausstattung wird im Spitzensport längst genutzt. In einer Studie mit 350 Leistungssportler*innen zeigte sich, dass Sprinter mit einer optimierten Variante des ACTN3-Gens zwischen 1,6 und 4,4 Prozent schneller waren als ihre Konkurrenten. Klingt nach wenig, ist aber bei einem 100-Meter-Lauf der Unterschied zwischen Gold und gar keinem Platz auf dem Treppchen.
Wallerstorfer ergänzt: „Tatsächlich haben 92 Prozent der Top-Sprinter mindestens ein funktionstüchtiges ACTN3-Gen, also die Kraftvariante. Und kein einziger olympischer Sprinter hat eine reine Ausdauer-Genkombination.“
Für uns Freizeitsportler, die in der zweiten Lebenshälfte nicht auf Olympia schielen, bedeutet das: Auch wenn wir nicht genetisch perfekt für den Marathon gebaut sind, können wir durch angepasstes Training sehr viel erreichen. Vor allem dann, wenn wir das Ziel realistisch setzen und den Weg dahin sinnvoll gestalten.

Fett oder Zucker? Die richtige Ernährung für deinen Muskeltyp
Ein oft unterschätzter Aspekt ist die Ernährung. Je nachdem, welche Muskelfasern bei dir dominieren, solltest du deine Energiequellen unterschiedlich wählen.
Fast-Twitch-Fasern brauchen Zucker, insbesondere Glukose, um Höchstleistungen zu bringen. Dieser Zucker wird in Form von Glykogen in den Muskeln gespeichert, reicht dort aber nur für etwa 30 Sekunden intensive Belastung. Danach muss nachgelegt werden. Wer also eher auf kurze, intensive Belastungen ausgerichtet ist, sollte vor dem Training kohlenhydratreich essen, zum Beispiel Pasta, Reis oder Bananen.
Slow-Twitch-Fasern dagegen können Fett als Energiequelle nutzen. Und das machen sie besonders effizient. Die Fettverbrennung setzt zwar langsamer ein, liefert aber über lange Zeit hinweg gleichmäßige Energie – ideal für lange Läufe. Wer also mehr rote Fasern hat, profitiert von einer fettreicheren Ernährung mit Lebensmitteln wie Eiern, Avocado oder fettem Fisch.

„Was für den Motor das richtige Benzin ist, ist für unsere Muskeln die passende Energiequelle“, bringt es Wallerstorfer auf den Punkt.
Gesund starten – Laufen ab 45 mit Köpfchen
Neben den genetischen Voraussetzungen ist vor allem der Einstieg entscheidend. Viele Männer beginnen im Frühling voller Motivation – und übertreiben es. Gerade nach einer längeren Winterpause ist Geduld gefragt. Denn während sich Muskulatur relativ schnell wieder an Belastungen gewöhnt, brauchen Bänder, Sehnen und Gelenke deutlich länger.
Hier unsere sieben wichtigsten Tipps für Laufanfänger oder Wiedereinsteiger:
1. Steigere das Laufpensum langsam.
Beginne mit kurzen Einheiten von 20–30 Minuten und steigere die Dauer erst nach und nach. Drei Laufeinheiten pro Woche reichen für den Anfang völlig.
2. Plane Regeneration bewusst ein.
Der Körper wird nicht im Training besser, sondern in der Erholung. Ein Ruhetag zwischen zwei Läufen ist Pflicht.
3. Achte auf Warnsignale.
Knieschmerzen, anhaltende Müdigkeit, Verspannungen? Dann stimmt etwas nicht. Ursachen können falsche Schuhe, mangelnde Technik oder ein zu schneller Trainingsaufbau sein.
4. Baue Rumpfkraft auf.
Ein stabiler Core verbessert die Laufhaltung, schützt die Wirbelsäule und verhindert Verletzungen. Zwei bis drei gezielte Einheiten pro Woche genügen.
5. Ernähre dich ausgewogen.
Je nach Muskelfasertyp kohlenhydrat- oder fettreicher, aber immer mit viel Gemüse, Eiweiß und ausreichend Wasser.
6. Setze dir realistische Ziele.
Ein Marathon ist ein tolles Ziel, aber kein Muss. Auch 5- oder 10-Kilometer-Läufe bieten Erfolgserlebnisse.
7. Wähle gute Ausrüstung.
Laufschuhe mit individueller Analyse, atmungsaktive Kleidung und eventuell ein Trinksystem für lange Läufe machen das Training angenehmer – und gesünder.
Hier findest du eine umfangreiche Übersicht vieler Laufschuhe.

Fazit: Jeder kann laufen – aber jeder auf seine Weise
Nicht jeder ist genetisch für den Marathon gemacht. Aber das heißt nicht, dass du es nicht trotzdem schaffen kannst. Es bedeutet nur: Du brauchst einen Trainingsplan, der zu dir passt. Eine Ernährung, die deine Muskulatur unterstützt. Und ein Ziel, das dich motiviert – und nicht unter Druck setzt.
Ob du dich nun zum ersten Mal an die 10 Kilometer wagst, den Halbmarathon als neues Projekt in Angriff nimmst oder tatsächlich einmal „den ganzen“ laufen willst: Hör auf deinen Körper, setz auf clevere Regeneration und sieh deine Gene nicht als Grenze, sondern als Startpunkt.
Denn egal, ob du mehr Fast-Twitch oder Slow-Twitch in dir hast: Laufen ist kein Wettkampf gegen andere. Es ist ein Weg zu dir selbst. Und den kennt dein Körper besser, als du vielleicht denkst.