Zum Start der Grillsaison hat sich unser Gastautor Carsten das Thema Clean Meat vorgenommen, auch bekannt als Künstliches Fleisch oder In-Vitro-Fleisch.
Ja, es ist wahr: Zucchini und Auberginen brutzeln nicht so schön wie Thüringer Bratwurst, wenn man sie grillt. Sie haben keinen Darm, der auf dem heißen Rost platzt und sich zum krossen Knuspermantel verwandelt. Aus ihnen trieft kein Fett, das mit dem markanten Zischen auf der glühenden Holzkohle verbrennt.
Es ist Grillzeit.
Eine gute Zeit für alle, die den Geruch der verbrutzelten Fette lieben. Eine schlechte Zeit für die CO2-Bilanz, denn mit der Grillzeit steigt auch der Fleischkonsum. Wie schön wäre es doch, man könnte das alles ohne schlechtes Gewissen genießen…
Man kann. Jedenfalls bald.
In Asien gibt es die erste Zulassung für Clean Meat – aus tierischen Zellen gezüchtetes Fleisch, das sich im Vergleich zum konventionell aus der Schlachtung gewonnenen Produkt nur in einem Punkt relevant unterscheidet: Es kommt aus dem Labor und enthält keine Rückstände von den in der Massentierhaltung eingesetzten Antibiotika.
In Deutschland hat dieses neue Produkt noch keinen wohlklingenden Namen. Laborfleisch. Oder In-Vitro-Fleisch. Klingt nach künstlicher Befruchtung. Deshalb bleiben wir doch vorerst beim englischen Begriff Clean Meat, das verdirbt nicht gleich den Appetit.
Clean Meat soll laut Expertenprognosen innerhalb der nächsten zehn Jahre den größten Marktanteil am Fleischmarkt in den westlichen Industriestaaten haben – und damit auch eine wichtige Rolle auf den Grillgeräten in unseren Gärten spielen.
In Südostasien kommt Clean Meat bereits heute auf den Teller.
Im Restaurant des Marriott South Beach in Singapur wird seit einigen Monaten das erste Labor gezüchtete Chicken serviert. Produziert aus der Feder eines rundum gesunden und immer noch lebendigen Hahnes, kultiviert mit einer pflanzlichen Nährlösung. Keine Schlachtung, kein Schmerz, kein Blut – ein Verfahren, entwickelt vom kalifornischen Start-up Eat Just, hergestellt in Singapur. Der südostasiatische Stadtstaat plant, innerhalb seiner engen Grenzen künftig gigantische Mengen an Clean Meat zu produzieren – und so einen Großteil des eigenen Nahrungsmittelbedarfs selbst zu decken. Das war bisher mangels landwirtschaftlicher Anbauflächen undenkbar. Das Musterprojekt läuft so erfolgreich, dass das Laborhühnchen inzwischen auch per Lieferservice nach Hause kommt.
In Israel präsentierte Anfang des Jahres das Start-up Aleph Farms das erste laborgezüchtete Rib-Eye-Steak. Die Zellen für saftige Stück kommen aus einem 3D-Biodrucker, anschließend reifen sie zum Steak heran.
Im US-Bundesstaat North Carolina haben die Tüftler des Start-ups Blue Ridge Bantam einen Bioreaktor gebaut, in dem Truthahnfleisch produziert wird. Dass der Fokus auf Truthähnen liegt, ist kein Zufall: Allein am Thanksgiving Day werden in den USA knapp 50 Millionen der Vögel geschlachtet und verspeist.
Auch in Europa investieren Geldgeber Millionen, um die Zukunftstechnologie serienreif zu machen. Die Biotech-Company Mosa Meat aus den Niederlanden sammelte in ihrer letzten Finanzierungsrunde gerade beachtliche 85 Millionen Dollar ein. Einer der Investoren: die Bell Group aus der Schweiz. Bell? Richtig, das ist der größte Fleischproduzent der Schweiz, der nicht nur in Clean Meat, sondern auch Millionen in die rein pflanzlichen Produkte seines eigenen Startups The Green Mountain investiert. Wenn ein Fleischgigant in vegane Burger-Patties investiert, weiß man, was die Stunde geschlagen hat.
Clean Meat – ist das nicht zu teuer?
Die Produktionskosten, die vor wenigen Jahren noch bei mehreren Hunderttausend Euro pro Kilo lagen, sind inzwischen auf das Niveau von hochwertigem Bio-Fleisch gesunken. Und auch für die letzte große Hürde gibt es eine Lösung: Dank neuer Technologien kann das Laborfleisch ohne Kälberserum als Nährlösung gezüchtet werden. Für dieses Serum müssen schwangere Kühe geschlachtet und die Föten entnommen und getötet werden – ein Umstand, der die Vision des Clean Meat ad absurdum führt.
In den USA bereiten sich das Department of Agriculture und die Food Aministration bereits auf die Zulassung vor. In der EU wurde mit der Novel-Food-Verordnung zumindest ein Rahmen für Anträge geschaffen. Die Erfahrungen aus Singapur könnten eine wichtige Rolle spielen, um die Zulassung zu beschleunigen.
Und? Traut ihr euch, ein Rib-Eye-Steak aus dem Labor auf den Grill zu packen? Ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke? Vielleicht hilft es, die Bilder vom Elend aus den Schlachthäusern an sich heranzulassen. Dann erscheint das Fleisch aus dem Labor gleich in einem anderen Licht.
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Titelbild © nevodka (Shutterstock)