Als Redakteur der AUTO BILD hat sich Ralf Bielefeldt gut 15 Jahre vorzugsweise um Autos gekümmert. In seinem Gastbeitrag erzählt der heutige Freelancer, wie er selbst die Liebe zum Motorrad wiederentdeckte und was es beim Wiedereinstieg im fortgeschrittenen Alter zu beachten gibt. Dazu gibt es auch eine Folge mit Ralf im NOT TOO OLD Podcast.
Mit knapp 18 hatte ich eine recht unheilvolle Begegnung mit einem Opel Monza. Er kam mir bei Regen frontal auf einer Straße entgegen, die für Gegenverkehr nur bedingt geschaffen war. Beim Versuch, dem älteren Herrn hinterm Steuer auf meiner 80er auszuweichen, blieb ich mit dem linken Fuß am vorderen Blinker des Monza hängen, ditschte mit dem Kinn auf die Windschutzscheibe, touchierte das Dach und flatterte über die Heckscheibe Richtung Asphalt. Meine geliebte Malaguti Cavalcone fuhr noch circa 200 Meter schlingernd geradeaus. Dann kippte sie rechts in eine Böschung. Und ich starrte in das Gesicht eines Ersthelfers, der Pastor war.
Narbe am Kinn, diverse kaputte Zähne, Prellungen an der Hüfte, angeknackstes Unverwundbarkeits-Bewusstsein – die Sache ging recht glimpflich aus, rückwirkend betrachtet, auch für mein Leichtkraftrad (Rückspiegel und Seitenteil kaputt). Schmerzlicher war das Versprechen, nicht mehr Motorrad zu fahren. Meine Mutter rang es mir ab im Tausch gegen einen VW Polo, der pünktlich zum Führerschein vor der Tür stehen würde – „wenn du nicht mehr auf dieses Teufelsding steigst, Junge“. Immerhin durfte ich den Einser-Führerschein noch zu Ende machen. „Wäre doch sonst rausgeschmissenes Geld, Mutti.“ Das sah sie ein.
28 Jahre lang – über den Tod meiner Mutter hinaus – hielt ich mich an das Versprechen. Was mir nur anfangs schwerfiel. Dann trat ein Triumph Spitfire in mein Leben, der ja irgendwie auch ein Motorrad ist, so in puncto Komfort und Wettertauglichkeit. Und kurz darauf fing ich bei AUTO BILD an, fuhr regelmäßig funkelnagelneue, blitzsaubere Testwagen und, ja, vergaß über die Jahrzehnte meine alte Liebe. Bis vor neun Jahren.
Per Zufall wieder auf einer Sitzbank
Da landete ich über zwei Ecken auf einer Motorrad-Präsentation in Malaga, genau genommen in Ronda – und um das Versprechen war es geschehen. Vor mir stand ein Dutzend blank polierter Ducati Diavel. Ein sogenannter Power Cruiser. Damals 162 PS stark, 127 Nm Drehmoment – ein Cruise Missile auf zwei Rädern. Geradezu pornös geformt. Hammer. Ich hatte einen Höllenrespekt vor dem Teil, bekam aber beide Füße sicher auf den Boden. Dann klappt das schon irgendwie, dachte ich so. Immer schön sutsche. Vor mir schlich selbstlos der rücksichtsvolle damalige Presssprecher im Schneckentempo die Serpentinen hoch. Auf halber Strecke kamen uns die übrigen Tester bereits wieder entgegen. Die waren schon fertig mit der Kaffeepause, bevor wir überhaupt da waren.
Egal. Mein Ehrgeiz war geweckt. Drohte ich mich auf dem Hinweg noch permanent einzunässen, sobald mir in den Kurven ein Auto begegnete, ging es zurück schon recht groovy den Berg runter. Der Testartikel dazu landete damals durch puren Zufall prominent in der BILD. Bedeutet: Mega-Reichweite. Und fortan war ich gesetzt bei den Präsentationen, auch wenn ich anfangs Sonderbetreuung brauchte.
Blickführung üben, Gottvertrauen aufbauen
„Wiedereinsteiger“. So nennt man Fahrer wir mich. Typen, die in der Jugend 50er, 80er, 125er oder was auch immer fuhren. Und heute quasi Premium-Anfänger sind. Eine schwerst begehrte Klientel. Dieses natürliche „Eins-Sein“ mit dem Motorrad, was alte Haudegen und junge Wilde ausstrahlen, geht dir mit Ü-50 anfangs echt ab, behaupte ich mal. Auch dieses Gottvertrauen, dass hinter der nächsten Kurve garantiert nichts lauert, das dich den Kopf kosten könnte. Die Sorge, zu stürzen oder vielmehr, sich böse weh zu tun und damit allen „Ich habe dich ja gewarnt, aber du wolltest ja nicht hören“-Schimpfern Munition zu liefern, ist natürlich erst mal da. Und sicher auch angebracht. Vor allem bei mir. Abfliegen, womöglich am Arsch der Heide, als Freelancer und Alleinernährer einer fünfköpfigen Familie? Besten Dank.
Darum sei jedem Abstinenzler, dem es heute wieder in der Gashand kribbelt, geraten: Mach einen Auffrischungskurs, bevor es wieder auf den Bock geht. Oder gleich ein Fahrsicherheitstraining. Das bieten fast alle Hersteller an, außerdem der ADAC und diverse Verkehrsübungsplatze. Da erinnert man sich schnell an die entscheidenden Dinge. Und lernt vermutlich Neues hinzu. Blickführung? Sagte mir nichts (mehr) nach fast drei Jahrzehnten Gasgriffpause. Dabei ist es das A und O beim Moppedfahren. Immer den entferntesten Punkt der Kurve anpeilen, dann ziehst du fast von selber eine saubere Linie. Und: immer das eigene Tempo fahren. Nicht scheuchen lassen. Von niemandem. Go your own pace. Schneller wirste ganz von selbst mit der Zeit.
Einfach fahren, fahren, fahren. Traut euch!
Mittlerweile lege ich auf der Rennstrecke rechts und links 59 Grad Schräglage hin (bei 62° fliegste ab), bügele durchs Gelände, war am Nordkapp, in Portugal, in Frankreich, den Staaten (als man da noch hinkonnte und wollte). Habe ich im Alltag die Wahl, fahre ich Motorrad. Dieses Jahr sogar erstmals nach 37 Jahren wieder im Winter. Mal gucken, wie es sich im Alter friert, treibt einen nicht das jugendliche Feuer zur ersten großen Liebe nach draußen, sondern pure Neugierde (und eine Honorarnote).
Der Trend ist klar: Motorrad fahren ist wieder angesagt. Die Zulassungszahlen in Deutschland haben im Coronajahr bis Oktober um mehr als 20 Prozent zugelegt, speziell die 125er gehen durch die Decke. Das motorisierte Fahren auf zwei Rädern ist in den letzten Jahren sehr viel sicherer geworden. ABS ist längst Pflicht bei allen Maschinen mit mehr als 125 Kubik, vielen Modelle haben sogar Kurven-ABS, mehrstufige Traktionskontrolle und Wheelie-Unterdrückung. Ducati präsentierte just das erste Serienmotorrad mit Abstandsradar und Totwinkelwarner.
Brauchen Wiedereinsteiger so etwas? Schaut euch eure Autos an und beantwortet die Frage selbst. Ich war nie ein großer Schrauber, darum kann ich mit Vergaser-Romantik und Blinkern, die nicht von selbst ausgehen, wenig anfangen. Ich mag es, wenn mir Technik hilft. Bremspunkt verpasst? Geht sich zur Not noch aus mit Kurven-ABS. Das verhindert, das sich die Maschine mitten in der Kurve aufrichtet beim Bremsen und geradeaus fährt, was in freier Wildbahn gern mal im Gegenverkehr endet. Nee, nee, lass stecken. Wobei: Alte Bikes haben natürlich was, gar keine Frage. Erst recht, wenn sie seit Ewigkeiten in der Garage stehen und nur darauf warten, wachgeküsst zu werden.
Ich sage es mal so: Die Einspurmobilität ist einfach die überlegene Fortbewegung in Städten. Sei es per Fahrrad, Roller oder Motorrad. In Corona-Zeiten sowieso. Du klaust anderen keinen Platz im Verkehr oder ÖPNV. Und belohnst dich selber mit einer kleinen Portion sozialverträglicher Anarchie im Alltag. Langsam an den Wartenden vorbei, Erster an jeder Ampel, das ist wie früher. Nur besser.
Hier findet ihr weitere Beiträge rund um die Mobilität.
Linktipps
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Titelbild: © BMW AG